Die Jagd nach der Himmelsscheibe wurde schon auf viele Arten erzählt:
Als Doku-Krimi vom Journalisten Thomas Schöne, der die Prozesse rund um die Auffindung und den Verkauf der Himmelsscheibe hautnah begleitet hat. Als Kasperletheater in der Arche Nebra, das die unglaublichen Szenen und Wendungen und starken Charaktere gekonnt zuspitzt und überzeichnet. Oder als minutiös dargelegte Fakten in einem Gerichtsurteil, das ein Ergebnis eines langen Berufungsverfahrens der Hehler ist. Und auch in unzähligen Gesprächen abends in der Kneipe, wo die Erinnerungen an lange Verhandlungstage, schicksalshafte Ereignisse und die unzähligen Fragen, die die damaligen Ereignisse noch heute aufwerfen, immer wieder gespannte Zuhörer finden und in heißen Diskussionen münden.
In dieser Geschichte sind nicht die archäologischen Objekte die Hauptakteure – obwohl sich um sie alles dreht – sondern die handelnden Menschen. Diese wollen wir etwas mehr ins Licht bringen und Ihnen eine Ahnung davon geben, aus welchem „Stoff“ sie gemacht sind, welches die Umstände und der Antrieb ihrer Handlungen waren – durchaus eine kleine museale Kontextualisierung.
Der 4. Juli 1999 war ein heißer Tag. Wie Henry W. vor Gericht berichtet, waren er und sein Kumpel Mario R. mit Metallsonden auf der Suche nach Militaria am Mittelberg bei Nebra.
Mühsam war die Aktion, da der feuchtfröhliche Vorabend noch in den Knochen steckte. Der Rest ist Geschichte: Schon fast auf dem Rückweg zeigt die Sonde von Henry W. einen großen Fund an. Nur wenig unter der Oberfläche entdeckt er nach ersten Bodenarbeiten die aufrecht stehende Himmelsscheibe, die er nur mühsam und mit Hilfe eines Feuerwehrbeiles aus der Erde lösen kann. Dabei fügt er dem Objekt, das die beiden zunächst für einen alten Eimerdeckel halten, starke Beschädigungen zu.
Als dann das Gold blitzt und die Schwerter, vor der Scheibe liegend, zum Vorschein kommen, wird beiden schnell klar, dass es sich hierbei um einen außergewöhnlichen Fund handeln muss.
Zeitnah benachrichtigen sie Achim St., den Sie als Käufer solcher Objekte kennen. Offiziell und legal ist der Schatz nicht zu verkaufen – ein Gesetz, das so genannte Schatzregal, regelt in Sachsen-Anhalt, dass alle „herrenlosen Kulturdenkmale“ oder wissenschaftlich bedeutenden Funde dem Land gehören.
In Deutschland ist das Denkmalschutzgesetz Sache der Bundesländer. Alle Bundesländer, abgesehen von Bayern, wenden bei Funden von archäologischen Funden das sogenannte Schatzregal an.
Beim Schatzregal handelt es sich um eine Regelung zu den Besitzverhältnissen von Kulturdenkmalen, bei denen ein öffentliches Interesse besteht, sie zu erhalten. Der Begriff stammt von den mittelalterlichen Hoheitsrechten, den Regalien.
DschG ST § 12 Schatzregal, Ablieferungspflicht
(1) Bewegliche Kulturdenkmale, die herrenlos sind oder die so lange verborgen gewesen sind, dass ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist, werden mit der Entdeckung Eigentum des Landes, wenn sie bei staatlichen Nachforschungen oder in Grabungsschutzgebieten entdeckt werden oder wenn sie einen hervorragenden wissenschaftlichen Wert haben. Denjenigen, die ihrer Ablieferungspflicht nachkommen, kann eine angemessene Belohnung in Geld gewährt werden, die sich am wissenschaftlichen Wert des Fundes orientiert.
Das bedeutet, dass für Gefundenes in den allermeisten Fällen eine Abgabepflicht besteht. Damit sollen die Funde erhalten werden und für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung stehen. Die Herausgabe kann verlangt werden, wenn Finder aber selbstständig Funde abliefern, kann eine Entschädigung gezahlt werden.
Der umtriebige Achim St. reist gleich tags darauf aus dem Rheinland an. Er bietet 32.000 DM, was die beiden Raubgräber annehmen und feiern. Die illegale Ausgrabung und der Verkauf der Himmelsscheibe wird Ihnen jedoch kein Glück bringen. Alle drei landen vor Gericht und werden verurteilt, ihr Weg dorthin und ihr Verhalten in den Verhandlungen mag einen kleinen Einblick geben, wer sie damals waren. Henry W. kooperiert später mit den Archäologen, und beantwortet auch auf dem Mittelberg viele Fragen zum Geschehen am 4. Juli.
Die Scheibe und die Beifunde sind nun im Besitz von Achim St., der die Objekte mehrere Tage in Spülwasser einlegt und anschließend mit Stahlwolle reinigt. Noch 1999 versucht Achim St. den Weiterverkauf. Das Bemühen um eine Kooperation mit einem erfahrenen Händler scheitert, deshalb bietet Achim St. die Funde direkt Museen an. Wahrheitsgemäß nennt er als Fundort Sachsen-Anhalt, was den Museen einen Ankauf aufgrund des Schatzregals unmöglich macht. Die beiden Raubgräber hatten Achim St. wenige Tage nach dem Ankauf noch die Fundstelle auf dem Mittelberg gezeigt, wo er mittels Sonde noch den fehlenden Niet eines der beiden Schwerter in der Erde entdeckt.
Nach längerer Suche wird die Himmelsscheibe mit Beifunden an den privaten Sammler Reinhold St. verkauft, Achim St. bekommt dafür 236.000 DM und macht somit einen satten Gewinn. Den Kauf vermittelte Hildegard B., die Besitzerin der Gaststätte „Historia“ – ein bekannter Treffpunkt der Sammlerszene.
2001 wird Harald Meller Direktor am Landesmuseum in Halle. Sein Antrittsbesuch beim Kollegen Wilfried Menghin, Direktor des Berliner Museums für Vor-und Frühgeschichte, ist ein weiterer wichtiger Punkt unserer Geschichte. Menghin zeigt Meller die Bilder der Himmelsscheibe und der Beifunde, die ihm Achim St. bei seiner Kaufanfrage überlassen hat. Und er nennt als Fundort Sachsen-Anhalt.
Die nun folgende Suche der Archäologen und Ermittlungsbehörden läuft zunächst ins Leere. Bis zum 29. Januar 2002. An diesem Tag erhält Meller von einer Kollegin aus München den Hinweis, dass das Magazin "Focus" einen Artikel zur Himmelsscheibe plane und sie um ihre Einschätzung gebeten habe. Sie stellt den Kontakt zum Journalisten her, und dieser berichtet Hildegard B. vom Ankaufwunsch des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle. Mit den Ermittlungsbehörden hat Meller dann vereinbart: Ziel ist es, bei einer fingierten Ankaufssituation die Himmelsscheibe sicherzustellen, die Verkäufer dingfest zu machen und so die Chance zu erhalten, kriminalistisch den Weg der Scheibe seit ihrer Entdeckung zu rekonstruieren.
Bei einem Treffen in der Gaststätte „Historia“ bekundet Meller das Kaufinteresse des Landes Sachsen-Anhalt, an seiner Seite sind zudem der Jurist des Landesamtes sowie ein verdeckter Ermittler der Polizei. 700.000 DM wollen der damalige Besitzer Reinhold St. sowie Hildegard B. für alle Objekte – was ihnen später zum Verhängnis wird. Die Höhe der finanziellen Forderung zeigt, dass es ihnen nicht nur darum geht, "den Fund für Deutschland zu sichern", wie sie später mehrfach betonen – sondern auch um einen beachtlichen Gewinn.
Ziel der Ermittlungsgruppe ist es, den Verwahrungsort der Funde zu erfahren. Deshalb besteht Meller darauf, alle Objekte persönlich zu begutachten, um eine „Echtheitsprüfung“ vornehmen zu können – man müsse sich vor so einem Ankauf ja sicher sein. Hildegard B. schlägt das Hilton-Hotel in Basel vor, wo man sich am 23. Februar 2002 zum Showdown trifft.
Um glaubwürdig auftreten zu können, hat sich Meller mit Hilfe des Chemikers Christian-Heinrich Wunderlich, der die Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums in Halle leitet, einen Bluff erdacht: Der Inhalt zweier kleiner Phiolen, mit speziellen Flüssigkeiten gefüllt, sollte in einer festgelegten Reihenfolge auf die Scheibe gegeben werden und mittels einer dadurch entstehenden Rauchentwicklung eine effektvolle, für die Originale jedoch völlig harmlose Echtheitsprüfung vorgaukeln – denn so etwas wie einen „Echtheitstest“ gibt es nicht.
Noch heute erinnert sich Meller gut an die Herausforderungen dieses Treffens, denen Archäologen sonst nur selten begegnen:
Unbekannten vorspielen, man wolle mit ihnen ein Geschäft machen – ohne zu wissen, ob die Situation auffliegt und eventuell gefährlich werden könnte. Man trifft sich nun in der Schweiz: Meller, Hildegard B. und ein schweigsamer Mann, den der Landesarchäologe viel später als Reinhold St. kennenlernt. In der Bar des Hotels legen sie ihm ein Schwert zur Echtheitsprüfung vor. In der Aufregung vertauscht Meller die chemischen Substanzen, es gibt keinen Rauch, keine Reaktion – anders als bei dem zuerst „geprüften“ Beil. Nach kurzem Zögern holt Reinhold St. nun die Himmelsscheibe unter seinem Hemd hervor, er hat sie mit einem Handtuch um seinen Körper gebunden und das Ganze mit Klebeband fixiert.
Jetzt hält der Archäologe das Stück, das wie kein anderes die folgenden Jahre seines Berufslebens prägen sollte, endlich in der Hand. Er ist von der bildhaften Qualität der Himmelsscheibe überwältigt, versucht dies jedoch nicht zu zeigen. Hier gelingt die gefakte „Echtheitsprobe“: Es spritzt und raucht und alle sind zufrieden. Dem scheinbaren Ankauf scheint nichts mehr im Wege zu stehen, doch insgeheim fragt sich Meller, ob die Polizei ihn aus den Augen verloren hat.
Unter einem Vorwand begibt er sich zur Toilette der Bar versucht dort mit einem Mobiltelefon Kontakt zur Polizei aufzunehmen, was nach einigen Versuchen endlich gelingt. Als er zurück in die Bar geht, ist es soweit: Die Kriminalbeamten schlagen zu und verhaften Hildegard B. und Reinhold St. Der Bronzefund vom Mittelberg kann endlich dem Land Sachsen-Anhalt als rechtmäßigem Besitzer zugestellt werden.
Das Theater um die Himmelsscheibe, ein Film von wts-mixed media, Berlin © Arche Nebra.
Auf einer Pressekonferenz Anfang März 2002 wurde die Himmelsscheibe der Öffentlichkeit vorgestellt. Nur wenige Tage darauf konnte der Sensationsfund dann in einer Sonderschau erstmals im Landesmuseum von Interessierten bestaunt werden. Anfang Juli 2002 meldete sich Achim St. bei der Staatsanwaltschaft Halle. Er nannte nicht nur die Namen der beiden Raubgräber, sondern berichtete auch, dass die echte Fundstelle auf dem Mittelberg bei Wangen sei und zeigte Harald Meller kurz darauf auf dem Mittelberg die genaue Fundstelle.
Das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt begann den Fundort am 20. August 2002 systematisch archäologisch zu untersuchen. Auch die Himmelsscheibe und ihre Beifunde wurden wissenschaftlich von verschiedensten Disziplinen unter die Lupe genommen und eines der umfangreichsten wissenschaftlichen Untersuchungsprogramme, das je einem archäologischen Metallfund gewidmet wurde, begann.
Am 8. September 2003 begann der Strafprozess gegen Henry W. und Mario R. Die beiden geständigen und kooperativen Raubgräber wurden kurz darauf zu Bewährungsstrafen mit Auflagen verurteilt. Die beiden Hehler, die Direktor Meller den Fund in der Schweiz für 700.000 DM gewinnbringend verkaufen wollten, wurden auch im September 2003 in einem anderen Gerichtsverfahren mit ebenfalls mehrmonatigen Bewährungsstrafen unter Auflagen belegt. Anders als die beiden Finder, sahen sich die beiden völlig zu Unrecht verurteilt und gingen in Berufung.
Über ein Jahr zog sich der Berufungsprozess vor dem Landgericht Halle hin. Die der Hehlerei Beschuldigten und ihre Anwälte fuhren schwere Geschütze auf und wechselten mehrmals die Strategie. Von Zweifeln an der Echtheit der Himmelsscheibe bis hin zu Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit von Hildegard B. ließ die Verteidigung nichts aus. Nach ganzen 33 Verhandlungstagen und 76 Beweisanträgen wurde die Berufung am 26. September 2005 verworfen und die Verurteilung der beiden Hehler wurde also auch in der zweiten Instanz bestätigt.
H. Meller/K. Michel, Die Himmelsscheibe von Nebra: Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas (Berlin 2018).
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Th. Schöne, Tatort Himmelsscheibe: eine Geschichte mit Raubgräbern, Hehlern und Gelehrten (Halle (Saale) 2008).
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